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Aufsatz LTO 10.10.2017 – Metz, Urteilsstil in Zivilgerichtsklausuren, Die Techniken der Bundesrichter
- 21. Februar 2018
- Veröffentlicht von: kurzundgut
- Category: Aufsatz Sprachkompetenz Aufsatz Urteilsstil Juristische Argumentationstechnik
Prüfer in der Zweiten Juristischen Staatsprüfung betonen immer wieder, dass es bei der Bewertung von Klausuren nicht auf das Ergebnis, sondern auf Schwerpunktsetzung, eine überzeugende Begründung und Tiefe der Argumentation ankommt. Gelungene juristische Herleitungen im Urteilsstil entstehen dabei nicht zufällig. Vielmehr verwenden hervorragende Juristen bestimmte Schreib- und Argumentationstechniken, die in diesem Beitrag anhand eines Beispiels aus dem Zivilrecht vorgestellt werden sollen.
Juristische Schreib- und Argumentationstechniken gewinnen im Assessorexamen an Bedeutung. Anders als in der Ersten Juristischen Staatsprüfung, liegen die Klausurschwerpunkte im Assessorexamen regelmäßig nicht auf allgemein-bekannten Rechtsfragen aus Lehrbüchern oder Skripten. Im Assessorexamen sollen Kandidaten detailreiche Aktenauszüge im Umfang von bis zu 25 Seiten argumentativ auswerten, sich für ein Ergebnis entscheiden und mithilfe der Kommentare eine überzeugende juristische Begründung für die konkrete Konstellation verfassen.
Orientierungspunkte für juristische Schreib- und Argumentationstechniken im Urteilsstil finden sich in Entscheidungen der Spitzenjuristen am Bundesgerichtshof (BGH). Diese werden oft gelesen, regelmäßig zitiert und prägen damit die Rechtsprechungs- und Prüfungspraxis. Allerdings unterscheiden sich höchstrichterliche Entscheidung unter bestimmten Gesichtspunkten von erstinstanzlichen Entscheidungen der Amts- und Landgerichte, so dass für Rechtsreferendare vor allem kurze Begründungen des BGH als Leitbilder in Betracht kommen.
Nachfolgend werden Techniken für den Aufbau einer juristischen Herleitung im Urteilsstil am Beispiel des BGH-Urteils vom 30.04.2014 (Az. VIII ZR 284/13) analysiert. Die Kläger kündigten als Vermieter den beklagten Mietern wegen Eigenbedarfs mit der Begründung, ihre Tochter wolle die Wohnung gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten beziehen. Die Mieter beriefen sich auf die Unwirksamkeit der Kündigung gemäß § 573 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), weil das Kündigungsschreiben den Namen des Lebensgefährten nicht enthalte. Während das Amtsgericht (AG) Essen die Kündigung für wirksam hielt, ging das Landgericht (LG) Essen von der Unwirksamkeit der Kündigung aus. Der BGH hielt die Kündigung wiederum für wirksam.
Das Ergebnis von Anfang an festlegen
Ausgangspunkt jeder juristischen Herleitung ist die These, dass das Entscheidungsergebnis eindeutig aus einer Regelung folgt und daraus sprachlich abgeleitet werden kann. Die traditionelle Struktur für den Aufbau juristischer Argumentationen in Urteilen ist dadurch gekennzeichnet, dass – nach Feststellung des Ergebnisses in einem ersten Schritt (Obersatz) – der rechtliche Maßstab in einem zweiten Schritt definiert wird (Definition) und in einem dritten Schritt der allgemeingültige rechtliche Maßstab in Bezug zum konkreten Sachverhalt gesetzt wird (Subsumtion). Damit ähneln die Strukturen des Urteilsstils dem aus der Ersten Juristischen Staatsprüfung bekannten Gutachtenstil.
Der Einstieg in Textabschnitte erfolgt in Urteilen über die Feststellung des Ergebnisses. Die Ergebnissätze können jeweils aus einem oder zwei Sätzen bestehen, positiv oder negativ formuliert werden und bereits eine kurze zusammenfassende Begründung enthalten. Im Beispielsfall wählen das AG Essen und das LG Essen folgende typische Satzstruktur für den Einstieg in die Begründetheit, während der BGH als Revisionsgericht keine entsprechende Formulierung verwendet:
Die Klage ist [//nicht] begründet. Die Kläger haben einen [//keinen] Anspruch gegen die Beklagten auf Rückgabe der Wohnung aus § 546 BGB, denn…
Als Einstieg in den Schwerpunkt der Fallkonstellation verwenden die Gerichte ebenfalls Teilergebnissätze. So wählt das AG Essen einen klar vom Gesamtergebnissatz abgegrenzten Teilergebnissatz, während das LG Essen die Sätze nicht klar voneinander abgrenzt und eine komplexere Satzstruktur wählt. Der BGH formuliert ebenfalls ein Teilergebnis zum Schwerpunkt, wählt dazu aber eine andere Struktur mit Aufnahme der Gegenposition:
AG Essen
Die Kündigung vom … entspricht den formellen Anforderungen des § 573 Abs. 3 BGB.
LG Essen
Die … auf Eigenbedarf … gestützte Kündigung ist bereits aus formellen Gründen unwirksam…
BGH
Entgegen der Auffassung [der Beklagten] haben die Kläger den… Eigenbedarf im Kündigungsschreiben vom… ausreichend begründet.
In der Zivilgerichtsklausur im Assessorexamen sollte beim Einstieg in die Entscheidungsgründe, die Begründetheit und die Schwerpunkte der Klausur jeweils mit Ergebnissätzen gearbeitet werden. Wer die Gestaltungsvarianten für die Formulierung von Ergebnissätzen im Urteilsstil kennt und regelmäßig übt, kann sich im Assessorexamen innerhalb der Referenzgruppe auf einfache Weise positiv abgrenzen.
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