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Metz, Worauf es im Assessorexamen wirklich ankommt, NJW Heft 23/2016
- 3. April 2017
- Veröffentlicht von: Florian Metz
- Category: Juristische Argumentationstechnik
Das Assessorexamen ist eine schwierige Prüfung. Die Noten bleiben erheblich hinter den Erwartungen der Examenskandidaten zurück und begleiten sie bis weit ins Berufsleben. Der Prüfungsstoff ist breit gefächert und die Bewertungsgrundlagen sind kaum zu greifen. Bei der Bewertung spielen traditionelle Konzepte über den Stil und die Arbeitsweise von Spitzenjuristen eine maßgebliche Rolle.
Ihren fachlichen Wissenszenit erreichen viele Juristen nach eigenem Empfinden im Assessorexamen. Im Einklang damit zeigen auch Analysen der Probeexamina, dass die Examenskandidaten breites juristisches Fachwissen anschaulich abbilden können. Spricht man dagegen mit Prüfern im Assessorexamen, so ist vielfältiges Fachwissen für die Bewältigung einer Examensklausur von untergeordneter Bedeutung. Dagegen sind vermeintlich weniger greifbare Aspekte wie „praktische Verwertbarkeit“, „Schwerpunktsetzung“ und „Tiefe der Argumentation“ für die Beurteilung maßgeblich. Diese Begriffe entziehen sich einfachen sprachlichen Definitionsversuchen. Sie beschreiben grundlegende traditionelle Vorstellungen darüber, was Spitzenjuristen ausmacht und wie sie juristische Texte strukturieren. Traditionelle Konzepte über den Stil und die Arbeitsweise von Spitzenjuristen sind tief verankert. Wer gegen traditionelle Konzepte verstößt, findet sich schnell in der Kategorie „4-Punkte-Kandidat“ wieder. Wer in Übereinstimmung mit traditionellen juristischen Konzepten arbeitet, kann auf eine Einordnung in die Kategorie der „Spitzenjuristen“ hoffen.
Unter „praktischer Verwertbarkeit“ verstehen Prüfer, dass der vom Examenskandidat ausformulierte Entscheidungsvorschlag im Gerichtsalltag verwendet werden kann. Im Assessorexamen überschreiten Examenskandidaten den dadurch gezogenen Rahmen, indem die Entscheidung auf in den Parteivorträgen nicht angelegte Gesichtspunkte gestützt wird. Wenn die Parteien seitenlang über das Zustandekommen eines Kaufvertrags diskutieren, würde ein Gericht die Diskussion der Parteien nicht einfach übergehen und eine Entscheidung im Bereicherungsrecht suchen. Selbst wenn Überraschungsentscheidungen nach dem Bearbeitervermerk formal zulässig sind, werden sie im Assessorexamen als praktisch nicht verwertbar eingeordnet. Nach den Erfahrungen aus Probeexamina gehen Überraschungsentscheidungen typischerweise mit inakzeptablen Spekulationen einher.
Unter „Schwerpunktsetzung“ verstehen Prüfer, dass Examenskandidaten die – von den Parteien vorgegebenen – Schwerpunktthemen identifizieren und mittels sprachlicher Techniken für den Leser erkennbar in den Vordergrund stellen. Auf Ebene der Entscheidungsgründe werden Schwerpunkte gesetzt, indem die Schwerpunktthemen vorrangig im Textgefüge platziert werden. Wenn die Parteien beispielweise über eine Anspruchsvoraussetzung der Gegenforderung diskutieren, so wird zunächst auf diesen Aspekt und erst anschließend auf die weiteren Anspruchs- und Aufrechnungsvoraussetzungen eingegangen. Wer den Aufbau dagegen an der Reihenfolge der gesetzlichen Anspruchs- oder Aufrechnungsvoraussetzungen orientiert, verschachtelt den Gedankengang und rückt den Schwerpunkt des konkreten Falls für den Leser in den Hintergrund.
Unter „Argumentationstiefe“ verstehen Prüfer, dass der Examenskandidat die grundlegenden Interessenpositionen der Parteien erkennbar macht und traditionelle juristische Argumentationstechniken einsetzt. Im Assessorexamen setzt Argumentationstiefe voraus, dass der Examenskandidat die zu beurteilende Fallkonstellation als Ausprägung grundlegender Spannungsverhältnisse betrachtet und beschreibt. Wer über vielfältiges Fachwissen verfügt, baut seine Argumentationslinie dagegen vorzugsweise auf schematischen Formulierungen auf. Ohne sprachliche Flexibilität und Abstand vom eigenen Detailwissen können Eindrücke von Argumentationstiefe nicht erzeugt werden.
Vor diesem Hintergrund gibt es nicht nur positive Wechselwirkungen zwischen der Anhäufung juristischen Fachwissens und der Fähigkeit zum Aufbau einer überzeugenden juristischen Begründung. Im Assessorexamen ist Zielsetzung eine Annäherung an traditionelle Schreib- und Arbeitstechniken der Spitzenjuristen.