Blog
Metz, Prüfungsanforderungen im Assessorexamen, JuS Heft 1/2017
- 3. April 2017
- Veröffentlicht von: Florian Metz
- Category: Juristische Argumentationstechnik
Abstract: Das Assessorexamen ist eine schwierige Prüfung. Die Noten bleiben erheblich hinter den Erwartungen der Examenskandidaten zurück und begleiten sie bis weit ins Berufsleben. Der Prüfungsstoff ist breit gefächert und die Bewertungsgrundlagen sind kaum zu greifen. Bei der Bewertung spielen traditionelle Konzepte über den Stil und die Arbeitsweise von Spitzenjuristen eine maßgebliche Rolle.
Ihren fachlichen Wissenszenit erreichen viele Juristen nach eigenem Empfinden im Assessorexamen. Im Einklang damit zeigen auch Analysen der Probeexamina, dass die Examenskandidaten breites juristisches Fachwissen anschaulich abbilden können. Spricht man dagegen mit Prüfern im Assessorexamen, so ist vielfältiges Fachwissen für die Bewältigung einer Examensklausur von untergeordneter Bedeutung. Dagegen sind vermeintlich weniger greifbare Aspekte wie „praktische Verwertbarkeit“, „Schwerpunktsetzung“ und „Tiefe der Argumentation“ für die Beurteilung maßgeblich.
Diese Begriffe entziehen sich einfachen sprachlichen Definitionsversuchen. Sie beschreiben grundlegende traditionelle Vorstellungen darüber, was Spitzenjuristen ausmacht und wie sie juristische Texte strukturieren und schreiben. Traditionelle Konzepte über den Stil und die Arbeitsweise von Spitzenjuristen sind tief verankert. Wer gegen traditionelle Konzepte verstößt, findet sich schnell in der Kategorie „4-Punkte-Kandidat“ wieder. Wer in Übereinstimmung mit traditionellen juristischen Konzepten arbeitet, kann auf eine Einordnung in die Kategorie der „Spitzenjuristen“ hoffen.
Vor diesem Hintergrund sind die sprachlichen und strategischen Fertigkeiten der Examenskandidaten zur Entwicklung einer praktisch verwertbaren Bearbeitung, zur Schwerpunktsetzung und zum Aufbau einer überzeugenden Argumentationslinie im Assessorexamen von besonderer Bedeutung. Dabei besteht ein Spannungsverhältnis zwischen diesen praxisorientierten Prüfungsanforderungen einerseits und der Tendenz der Examenskandidaten zur Wiedergabe theoretischen Fachwissens andererseits.
I. Praktische Verwertbarkeit im Assessorexamen
Unter „praktischer Verwertbarkeit“ verstehen Prüfer, dass der vom Examenskandidat ausformulierte Entscheidungsvorschlag im Gerichtsalltag verwendet werden kann. Dieses Kriterium zieht einen weiten Rahmen und soll diejenigen Bearbeitungen ausgrenzen, die sich außerhalb des – nach juristischen Traditionen grundsätzlich akzeptablen – Rahmens bewegen.
Ob eine Entscheidung in der Praxis grundsätzlich akzeptabel ist, beurteilt sich vorrangig aus der Perspektive der unterlegenen Prozesspartei. Wer einen Gerichtsprozess verliert, will die eigene Interessenposition in der Entscheidung wiederfinden. Die unterlegene Partei erwartet insbesondere, dass sie zu den maßgeblichen Aspekten ihre Sicht der Dinge vortragen konnte und das Gericht sich mit ihren Argumenten auseinandersetzt.
Im Assessorexamen überschreiten Examenskandidaten den dadurch gezogenen Rahmen, indem die Entscheidung auf in den Parteivorträgen nicht angelegte Gesichtspunkte gestützt wird. Wenn die Parteien seitenlang über das Zustandekommen eines Kaufvertrags diskutieren, würde ein Gericht die Diskussion der Parteien nicht einfach übergehen und eine Entscheidung im Bereicherungsrecht suchen. Selbst wenn Überraschungsentscheidungen nach dem Bearbeitervermerk formal zulässig sind, werden sie im Assessorexamen als praktisch nicht verwertbar eingeordnet.
Nach den Erfahrungen aus Probeexamina gehen Überraschungsentscheidungen typischerweise mit inakzeptablen Spekulationen einher. Wenn die Parteien ausschließlich über die Verjährung einer Bürgschaftsforderung streiten, so finden sich keine Informationen zum Aspekt „sittenwidrige Ehegattenbürgschaft“. Wer im Assessorexamen trotzdem eine „sittenwidrige Ehegattenbürgschaft“ annimmt, wird für den Aufbau einer juristischen Begründung die passende Informationsgrundlage zunächst kreativ erzeugen.
Schließlich setzen sich Entscheidungen der Zivilsenate des Bundesgerichtshofs überwiegend mit Argumenten der unterlegenen Partei auseinander. Nach kurzer positiver Begründung finden sich lange Auseinandersetzungen mit Gegenargumenten. Die traditionelle Formulierungen sind jedem Juristen bekannt: „Dem steht nicht entgegen, dass… Sofern sich der Beklagte darauf beruft, dass…, dringt er damit nicht durch… Der Umstand, dass…, rechtfertigt keine andere Bewertung… Dem kann der Beklagte nicht entgegenhalten, dass… Die Regelung des § X führt zu keinem anderen Ergebnis… Der Anspruch scheitert nicht daran, dass…“
Vor diesem Hintergrund akzeptieren die Prüfer unter dem Gesichtspunkt der praktischen Verwertbarkeit die Wiedergabe angelernten Fachwissens nur in den von den Parteien gezogenen Grenzen. Die Tendenz der Examenskandidaten zur Wiedergabe ihres Fachwissens steht ebenfalls in einem Spannungsverhältnis zur Prüfungsanforderung der Schwerpunktsetzung.
II. Schwerpunktsetzung im Assessorexamen
Unter „Schwerpunktsetzung“ verstehen Prüfer, dass Examenskandidaten bestimmte Aspekte in ihren Bearbeitungen hervorheben und stärker gewichten. Dazu müssen Schwerpunktthemen identifiziert und mittels sprachlicher Techniken für den Leser erkennbar in den Vordergrund gestellt werden. Schwerpunktthemen werden sowohl in der Praxis als auch im Assessorexamen von den Parteien vorgegeben.
Wer die von den Parteien vorgegebenen Schwerpunkte identifiziert hat, muss sie in einem nächsten Schritt für den Leser erkennbar hervorheben und herausarbeiten. Eine traditionelle sprachliche Technik zur Schwerpunktsetzung im Tatbestand ist, beim Einstiegssatz bereits den Schwerpunkt zu benennen. Dabei ermöglichen Formulierungen aus Klägerperspektive in der Struktur „Der Kläger begehrt… und beruft sich auf…“ einen konkreteren Zuschnitt auf Schwerpunkte als die abstrakte Formulierung „Die Parteien streiten über…“.
Auf Ebene der Entscheidungsgründe werden Schwerpunkte gesetzt, indem die Schwerpunktthemen vorrangig im Textgefüge platziert werden. Wenn die Parteien beispielweise über eine Anspruchsvoraussetzung der Gegenforderung diskutieren, so wird zunächst auf diesen Aspekt und erst anschließend auf die weiteren Anspruchs- und Aufrechnungsvoraussetzungen eingegangen. Wer den Aufbau dagegen an der Reihenfolge der gesetzlichen Anspruchs- oder Aufrechnungsvoraussetzungen orientiert, verschachtelt den Gedankengang und rückt den Schwerpunkt des konkreten Falls für den Leser in den Hintergrund.
Zudem werden Schwerpunkte in den Entscheidungsgründen vor allem dadurch gesetzt, dass der Examenskandidat sein Ergebnis ausführlich juristisch herleitet. Dazu wird traditionell als Ausgangspunkt eine Norm benannt. Der so identifizierte rechtliche Maßstab wird in einem zweiten Schritt präzisiert und in einem dritten Schritt mit konkreten Sachverhaltsinformationen verbunden oder davon abgegrenzt.
Nach Erfahrungen aus Probeexamina gefährdet die Wiedergabe angelernten Fachwissens den Eindruck richtiger Schwerpunktsetzung. Wer beim Einstieg in eine Beweiswürdigung über allgemeine Voraussetzungen zum Zustandekommen von Verträgen referiert, kann Eindrücke von Fallbezug und richtiger Schwerpunktsetzung kaum erzeugen. Schließlich steht auch die von Prüfern geforderte Argumentationstiefe in einem Spannungsverhältnis zur Wiedergabe angelernten Fachwissens.
III. Tiefe der Argumentation im Assessorexamen
Unter „Argumentationstiefe“ verstehen Prüfer, dass der Examenskandidat die grundlegenden Interessenpositionen der Parteien erkennbar macht und traditionelle juristische Argumentationstechniken einsetzt. Dieses Kriterium ist für Examenskandidaten besonders schwer fassbar und dient in erster Linie zur Bestimmung hervorragender juristischer Ausarbeitungen.
Rechtlichen Regelungen liegen prototypische Konfliktsituationen zugrunde und sollen grundlegende Interessenpositionen zum Ausgleich bringen. Im Assessorexamen setzt Argumentationstiefe daher voraus, dass der Examenskandidat die zu beurteilende Fallkonstellation als Ausprägung grundlegender Spannungsverhältnisse betrachtet und beschreibt. Als begriffliche Ausgangspunkte im Rahmen einer juristischen Herleitung dienen regelmäßig der Normzweck sowie die Legitimation einer Regelung.
Nach den Erfahrungen aus den Probeexamina fällt Examenskandidaten die Entwicklung einer eigenständigen Argumentationslinie unter Berücksichtigung grundlegender Wertungen schwer. Wer über vielfältiges Fachwissen verfügt, baut seine Argumentationslinie vorzugsweise auf schematischen Formulierungen auf. Ohne sprachliche Flexibilität und Abstand vom eigenen Detailwissen können Eindrücke von Argumentationstiefe nicht erzeugt werden.
Vor diesem Hintergrund gibt es nicht nur positive Wechselwirkungen zwischen der Anhäufung juristischen Fachwissens und der Fähigkeit zum Aufbau einer überzeugenden juristischen Begründung. Im Assessorexamen besteht die große Herausforderung darin, neben starrem Fachwissen auch flexible sprachliche Techniken zur Entwicklung eigenständiger juristischer Begründungslinien zu erlernen. Dabei ist Zielsetzung eine Annäherung an traditionelle Schreib- und Arbeitstechniken der Spitzenjuristen.